Docs for Democracy ist als ein Reallabor konzipiert. Nicht alle hier bislang formulierten Reformideen sind jetzt schon perfekt – sie setzen aber eindeutig andere Schwerpunkte und folgen einer anderen Logik als das quasikommerzielle, an der Quote orientierte ö/r Dok-Programm. Ziel ist, die Grundideen in der Umsetzung fortlaufend besser zu machen. Denkbar ist daher der Start mit einem kleineren Betrag der dann sukzessive aufgestockt wird.
Hier soll noch einmal zusammengefasst werden, warum es mit einer Reform des bestehenden Systems nicht getan ist, sondern es einen partiellen Neuanfang braucht.
10.1 Dokumentarische Qualitätsinhalte müssen glaubwürdig, gemeinwohlorientiert, vielfältig und in großer Zahl frei zugänglich sein
Die Medienordnung der Bundesrepublik soll für den Wert der Perspektive des unteilbaren Individuums stehen und das formal deutlich machen. Das ist die zentrale Forderung des richtungsweisenden Lüth-Urteils des Bundesverfassungsgerichtes vom 15. Januar 1958.
Demzufolge ist das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung als unmittelbarster Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit in der Gesellschaft eines der vornehmsten Menschenrechte überhaupt. Aber dieses Recht muss stets neu erkämpft werden. Derzeit stellt vor allem die digitale Transformation eine große Herausforderung für den humanistischen Grundgedanken dar.
Die digitale Transformation hat einige gefährliche Dynamiken dramatisch verschärft. Heute wissen wir: insbesondere die sozialen Medien wirken wie Erregungsmaschinen. Emotionale Zuspitzung, Wut und Empörung lassen die Kassen der Plattformbetreiber klingeln, steigern die Quote und atomisieren die Gesellschaft. Hingegen geraten Wahrheit, Genauigkeit, Anspruch und Differenzierung – aber auch individuelle, künstlerisch verdichtete Blicke auf die Welt – ins Hintertreffen. Diese Dynamik hat sich in den letzten Jahren zum zentralen Problem für die Demokratie entwickelt. Dabei ist sie keineswegs neu. Sie geistert als Quotenlogik seit drei Jahrzehnten als bestimmender Maßstab durch alle Medien. Auch durch die öffentlich-rechtlichen.
Erschwerend kommt hinzu: Hass, Lügen, Propaganda und belangloser Boulevard sind im Netz frei verfügbar während ein großer Teil der Qualitätsinhalte nach kurzer Auswertungszeit hinter Bezahlschranken versteckt werden oder im Archiv verschwinden. Bei privaten Angeboten ist das nachvollziehbar. Aber warum ist das auch bei ö/r Inhalten so?
Weil die Anstalten den Medienmacher*innen in der Regel weder die Herstellung voll finanzieren noch die Auswertung angemessen vergüten. Wer einmal versucht hat, einen gesellschaftlich breit diskutierten und mit öffentlichen Geldern (zumindest teil-) finanzierten langen Dokumentarfilm kostenlos anzusehen, wird in den ö/r Mediatheken kaum fündig werden. Und auch die Mehrzahl der kürzeren TV-Dokumentationen sind in der Regel nur „teilfinanzierte Auftragsproduktionen“ die nach kurzer Zeit aus den Mediatheken und damit aus dem kulturellen Gedächtnis verschwinden. Nicht zuletzt die COVID-19 Pandemie hat schmerzlich deutlich gemacht, wie unflexibel das derzeitige ö/r Produktions- und Lizenzmodell ist und wie wenig es den Bedürfnissen der Zeit, z.B. nach verlässlich und langfristig verfügbaren ö/r Bildungsinhalten, entspricht.
Der Tenor eines Beitrages von Carsten Brosda (Senator für Kultur und Medien, Hamburg) und Wolfgang Schulz (Hans Bredow Institut, Hamburg) in der FAZ vom 11.06.2020 lautet, dass wir bereits kurz vor dem Punkt stehen, an dem eine gemeinsame Informationsbasis – die aber Ausgangsbedingung für den demokratischen Prozess ist – verloren geht. Die Antwort auf diese Herausforderung kann nur darin bestehen, möglichst schnell ein wirkmächtiges Gegengewicht zu schaffen. Es geht heute darum, alle verfügbaren Kanäle mit Qualitätsinhalten geradezu zu fluten, um Desinformation, Lüge, Hetze und Propaganda wirkungsvoll begegnen zu können. Was eine lebendige Demokratie braucht sind dokumentarische Medien höchster Qualität, größtmöglicher thematischer und formaler Vielfalt, unbedingter Glaubwürdigkeit und langfristiger Verfügbarkeit in großer Anzahl. Eine Studie der Otto Brenner Stiftung bringt es auf den Punkt (OBS 2017: S. 30): Wer die Glaubwürdigkeit der Medien hoch einschätzt, ist umgekehrt auch mit dem Funktionieren der Demokratie hoch zufrieden. Umgekehrt gilt, wer Medien als unglaubwürdig einstuft, ist höchst unzufrieden mit dem Funktionieren der Demokratie.
Docs for Democracy ist ein neues Produktions- und Verwertungsmodell, das für alle diese Herausforderungen eine kostenneutrale, pragmatische Lösung anbietet von der wirklich alle etwas haben.
10.2 Faktencheck: Das dokumentarische Genre ist im ö/r System eklatant unterfinanziert und im Programm unterrepräsentiert
ARD und ZDF behaupten gegenüber der Politik gerne, dass das dokumentarische Genre zu den zentralen Kernkompetenzen des ö/r Systems zählt. Das ist eine Lebenslüge, denn die Zahlen erzählen eine ganz andere Geschichte: Die Gesamtausgaben der ARD für alle dokumentarischen Auftragsproduktionen, Co-Produktionen oder Lizenzankäufe zwischen 15 und 90+ Minuten betrugen 2018 gerade einmal 0,77% der kumulierten Gesamteinnahmen (57,93 Mio. von ca. 6500 Mio., ARD_Produzentenbericht_2018). Heruntergerechnet sind das etwa 34 Minuten neuproduziertes dokumentarisches Programm ab 15 Minuten Länge pro ARD-Sender und Tag. Beim ZDF liegt dieser Wert bei 2,13% (ZDF-Einnahmen 2018: 2.193,4 Mio.; „Beschaffungsaufwand für Auftrags- und Koproduktionen“ 2018, Bereich Dokumentationen/Reportagen: 46,6 Mio.). Eine Studie von LMC kommt zu dem Ergebnis, dass lediglich ca. 5% der Sendeflächen bei ARD und ZDF mit dokumentarischen Programmen bespielt werden. Der lange Dokumentarfilm kommt so gut wie überhaupt nicht vor.
Angesichts der Demokratiekrise ist dieser Anteil geradezu lächerlich niedrig und steht schlicht im diametralen Gegensatz zum Funktionsauftrag der ö/r Sender (§26 MStV). Das Gegenteil sollte der Fall sein: ein funktionierendes ö/r System müsste den Output an hochqualitativen, glaubwürdigen, vielfältigen und möglichst umfassend verfügbaren dokumentarischen Inhalten dramatisch steigern. Gleichzeitig müssten diese Produktionen unter guten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen entstehen. Beides ist nicht der Fall!
Dass ausgerechnet Dokumentarist*innen die schlechtbezahltesten Branchenteilnehmer*innen sind, wirft zusätzlich kein gutes Bild auf das ö/r System wie auf unsere Gesellschaft insgesamt.Und das, obwohl man mit dokumentarischen Programmen kosteneffektiv ein überdurchschnittliches diverses Publikum erreicht. Das globale Forschungsprojekt „Media for Democracy Monitor 2020“, das Kommunikationswissenschaftler*innen im ersten Halbjahr 2020 in 18 Ländern weltweit durchgeführt haben, zeigt die gleiche Tendenz für Journalist*innen im Allgemeinen: Gut ausgebildet, schlecht bezahlt, ganz selbständig oder in unsicheren Arbeitsverhältnissen beschäftigt – der Berufsstand der Journalist*in weist in vielen Ländern der Welt erhebliche strukturelle Defizite auf die letztlich die Demokratie selbst in Gefahr bringen.
Die ö/r Anstalten haben sich als konstant unfähig erwiesen, hier wirklich tiefgreifende Reformideen zu entwickeln. Wir brauchen daher jetzt eine Fokussierung auf den Auftrag als partiellen Neustart: Docs for Democracy!
10.3 Wenig Raum für komplexe Wirklichkeit in eindimensionalen Doku-Formaten
Zu viel vorschnelle Einordnung, viel zu wenig Beobachtung!
Öffentlich-rechtliche Medien haben zwei Aufgaben: zu spiegeln, was in der Gesellschaft los ist. Und es einzuordnen. Der Unmut eines nicht geringen Teils der Bürger*innen mit dem Status Quo gerade der ö/r Medien besteht zu einem guten Teil darin, dass es kaum Beobachtung, dafür aber sehr viel (vorschnelle) Einordnung gibt. Im Effekt führt das bei vielen Bürger*innen heute vielfach nicht zu Orientierung, sondern zu einem Gefühl der Entmündigung, das oft eher in Ressentiment umschlägt, statt in konstruktive Debatten zu führen. Ein ö/r Mediensystem muss aber kompromisslos die mündige_Bürger*in (Jens Jessen, ZEIT 29.10.2010) wollen, ihr etwas zumuten und abverlangen. Und ihr ein Urteil zutrauen.
Die Studie „Deutschland Doku Land“ des unabhängigen Medienjournalisten Fritz Wolf kam 2019 zu der Einsicht, dass weit mehr als 80% der nonfiktionalen Produktionen aus hochformatierten „Dokus“ bestehen, die in Form und Inhalt stark normiert sind, wenig differenzieren und daher oft nur wenig zum Gelingen von demokratischen Meinungsbildungsprozessen beitragen. Die Situation hat sich damit seit der Vorgängerstudie von Fritz Wolf Alles Doku oder was? aus dem Jahr 2003 weiter verschärft. Beide Studien zeigen, dass die vom Bundesverfassungsgericht in verschiedensten Urteilen (zuletzt BVerfG 2018) immer wieder eingeforderte Vielfalt viel zu kurz kommt und der Funktionsauftrag nicht ausreichend erfüllt wird (AG DOK). Selbst der Vorsitzende der ARD Gremienkonferenz, Andreas Meyer-Lauber, konstatiert, dass die Berichte und Leitlinien in der bisherigen Form „keine aussagekräftigen Rückschlüsse auf Quantität und Qualität der ARD-Angebote in Bezug auf den Funktionsauftrag zulassen“ (medienkorrespondenz.net am 09.12.2020).
Unformatierte Dokumentarfilme, künstlerisch freie Ansätze, wirklich differenzierte Hintergrund- und Kulturberichterstattung, Literatursendungen oder ausführliche Auslandsberichte. Langzeitbeobachtungen oder angemessen finanzierte investigative Formate – all das ist Mangelware. Nicht zuletzt müssten Zukunftsthemen aus Wissenschaft und Forschung eine viel stärkere Rolle spielen – sie haben aber laut der Wolf-Studie lediglich einen Anteil von nur etwa 3% an allen nonfiktionalen Produktionen. Philosophie, Religion und Geistes- und Kulturwissenschaften finden so gut wie gar nicht statt – obwohl die Anstalten im Medienstaatsvertrag explizit aufgefordert sind, der Kultur einen besonderen Platz einzuräumen. Dies umso mehr als es , neben dem Klimawandel, die kulturellen Konflikte sind, die das 21. Jh. am stärksten prägen werden.
Die ö/r Anstalten haben sich als konstant unfähig erwiesen, hier wirklich tiefgreifende Reformideen zu entwickeln. Und die eine Zeitlang als Erlöser gefeierten neuen Player wie Netflix, amazon, Disney und Co. leisten mit ihren auf ein globales Publikum schielenden Hochglanzproduktionen keinen ernstzunehmenden Beitrag zu einer auch im lokalen, regionalen und nationalen verankerten Medienkultur.
Wir brauchen jetzt einen partiellen Neustart. Eine Fokussierung auf den im Grundsatz ganz klar formulierten Funktionsauftrag § 26: Docs for Democracy!
10.4 Erratische Entscheidungswege in den Redaktionen verhindern Mut und Kreativität der Medienmacher*innen
Docs for Democracy schlägt eine Direktbeauftragung der Produzenten jenseits der bestehenden Redaktionsstrukturen vor. Warum?
Die Gatekeeper-Funktion der Redakteur*in kann in bestimmten Kontexten hilfreich sein und soll im ja weiterbestehenden Anstaltssystem nicht abgeschafft werden. Allerdings haben die technologischen Entwicklungen der letzten beiden Jahrzehnte zu neuen, vorher nicht möglichen Handlungsoptionen und Herausforderungen geführt, für die ein antiquiertes Redaktionssystem nicht gemacht ist. Docs for Democracy plädiert daher für eine Direktbeauftragung der Medienmacher*innen im Rahmen des Docs for Democracy Modells.
Es ist ein Anachronismus, dass auch heute noch ausschließlich ein paar ö/r Dok-Redakteur*innen darüber entscheiden, welche Geschichten für ein Millionenpublikum erzählenswert sind und welche nicht. Eine Redakteur*in kann, auch bei sehr viel Selbstreflexion und gutem Willen, am Ende doch immer nur sich selbst zum Maßstab nehmen und es ist unrealistisch, anzunehmen, einige wenige Entscheider*innen könnten ein ausreichend gutes Gespür für die zigtausend neu entstehenden und auch wieder vergehenden Lebenswelten, subkulturellen Trends, Problemlagen oder Fachkontexte entwickeln. Ulrich Teusch, Birk Meinhardt, Wolfgang Herles, Lutz Hachmeister und viele andere namhafte Kenner*innen des Systems haben die diversen blinden Flecken des Redaktionswesens in den letzten Jahren immer wieder sehr treffend beschrieben. Sie konstatieren keineswegs gezielte Verschwörung oder Absicht zur Lüge. Vielmehr beschreiben sie die blinden Flecken von eingeübten sozialen Praktiken, unausgesprochene Prämissen darüber, was dem Zuschauer zumutbar ist, was er vermeintlich zu sehen wünscht, welche Themen, Formen und Ästhetiken bei ihm ankommen. Auch das Grimme Institut beklagt regelmässig, dass redaktionelle Eingriffe im Effekt zu Nivellierung, Mittelmass und künstlerischer Mutlosigkeit führen. Gleichzeitig passieren in den Redaktionen immer wieder gravierende handwerkliche Fehler, zuletzt etwa die Casting-Affäre im WDR (medienkorrespondenz, 17.01.2019). Die bleib freilich für die Redakteur*innen folgenlos, während die Zusammenarbeit mit der freien Autorin eingestellt wurde, obwohl die doch lediglich lieferte, was man bei ihr bestellt hatte: eine quotenträchtige Sendung (SZ 21.01.2019).
Diese seit Jahren sehr fundiert vorgetragene Kritik muss endlich ernst genommen werden!
Fakt ist: Es gibt im herkömmlichen Redaktionssystem keine Autonomie der Medienmacher*innen. Viele gute Ideen werden aufgrund der Formatzwänge in den Redaktionen nie realisiert, andere bis zur Unkenntlichkeit nivelliert. Hinzu kommt: Wer die einschlägigen Netzwerke nicht kennt, nicht bedienen kann oder will, wer sich so etwas wie innere Unabhängigkeit und künstlerische Freiheit bewahren will, der kollidiert unweigerlich mit dem System. Oder, der wahrscheinlichere Fall, er ordnet sich eben unter. Georg Seeßlen hat diese Mechanismen jüngst in einem vielbeachteten Aufsatz zu den Mechanismen des Förderwesens in Deutschland (Die Zeit, 10.09.2020) treffend beschrieben:
„Diese Maschine produziert mittlerweile eine Filmwahrheit im Sinne von Michel Foucault, das heißt, sie bestimmt, was in Film, mit Film und über Film gesagt werden kann und was nicht. Sie definiert den Film und das Filmische dergestalt, dass nicht nur durch den Förderfilter bestimmt wird, was dargestellt wird und was nicht, sondern auch, wie es dargestellt wird. Eine Wahrheitsmaschine produziert nicht nur Aussagen und Verbote, sondern immer auch eine Semantik.“
Alle der hier genannten Schwächen des Redaktionssystems sind struktureller Natur und innerhalb der bestehenden Logik nicht heilbar. Sie stehen einer raschen Reform im Sinne einer Erweiterung der Perspektiven unmittelbar und dauerhaft im Weg. Es fehlen – aus allen weiter oben genannten Gründen – viel zu viele Stimmen in der öffentlichen Diskussion, wie etwa auch der Intendant des DLF, Stefan Raue, kürzlich unumwunden eingeräumt hat (FAZ, 15.11.2020).
Nur eine echte Systemerweiterung wird glaubwürdig dazu beitragen können, diese Probleme zu lösen.
10.5 Quotenfixierung ist und bleibt ein Problem
Seit Jahrzehnten kritisieren Medienmacher*innen und Medienkritiker*innen gleichermassen die destruktive Macht der Einschaltquote: Pierre Bourdieu (Soziologe); Dieter Prokop (Medienwissenschaftler); Norbert Schneider (ehemals Fernsehdirektor des SFB); Claudius Seidl (Journalist, FAZ); Dominik Graf (Filmemacher, Deutschlandradio); Gert Monheim (Journalist; Funkkorrespondenz); Stephan Lebert und Stefan Willeke (Journalisten; DIE ZEIT). Aber ihre kritischen Befunde haben kaum etwas an der Quotenorientierung zu ändern vermocht, wie entsprechende Gutachten wieder und wieder zeigen (Qualität statt Quote; Qualitätsdiskussion öffentlich-rechtlicher Fernsehprogramme; Quotenorientierung ist kein Grundrecht). Tatsächlich haben die sozialen Medien die zerstörerische Wirkung der Quotenlogik noch verschärft.
Aber wenn man die Quote für zu kurz gedacht hält – was soll dann an ihre Stelle treten? Reicht die oft reichlich schematisch vorgetragene Forderung – Qualität statt Quote – um die Probleme zu beheben?
Die ö/r Anstalten haben eigene Qualitätskriterien (ARD und ZDF) entwickelt die sich am Funktionsauftrag (MStV § 26) orientieren. Dass es, gerade im Vergleich zu den privaten Anbietern, bei den ö/r Anbietern höhere Qualitätssmaskriterien gibt, bestreiten auch die kritischen Stimmen nicht. Tatsächlich sind aber z.B. die ARD-Qualitätskriterien und Programmberichte so ungenau, dass in der bisherigen Form „keine aussagekräftigen Rückschlüsse auf Quantität und Qualität der ARD-Angebote in Bezug auf den Funktionsauftrag“ möglich sind, wie sogar der Chef der ARD Gremienvorsitzendenkonferenz (GVK), Andreas Meyer-Lauber im Dezember 2020 zugegeben hat. Vorgeworfen wird den Senderverantwortlichen außerdem, auf qualitativen Anspruch zu verzichten, wenn sich als Folge eines verminderten Standards Quotenerfolge erzielen lassen. Auch wenn anerkannt wird, dass öffentlich-rechtliche Sender in der Konkurrenz mit privaten Anbietern auf quantitative Erfolge nicht völlig verzichten können, werden zumindest die Proportionen des Angebotsspektrums seit mindestens drei Jahrzehnten in Frage gestellt. Und spätestens wenn man die Kostenstruktur des Programmangebotes vergleicht, wird deutlich, dass, ganz im Kontrast zum Auftrag, Unterhaltungsangebote um ein Vielfaches teurer sind als Bildung, Beratung, Information und Kultur. Von den erdrückend hohen Verwaltungs-, Personal- und Rentenkosten der Anstalten ganz zu schweigen.
Wenn ersichtlich wird, dass die Qualität des Angebotes nicht an erster Stelle steht, führt dies zum größtmöglichen Problem für eine mit öffentlichen Geldern finanzierten Medieninstitution: zu Glaubwürdigkeitsdefiziten. Mehrere aktuelle Zwischenrufe und Studien kommen zum Schluss, dass selbst die geltenden Qualitätskriterien oft nicht eingehalten werden, z.B. in der Auslandsberichterstattung oder im Nachrichtenwesen.
Die vom BR selbst durchfgeführt Glaubwürdigkeitsstudie konstatierte im Jahr 2016, dass ein erheblicher Teil der Bevölkerung der Ansicht ist, dass ö/r Medien Sachverhalte zu sehr vereinfachen und dadurch Vorurteile verbreiten. Ganze 48% der Zuschauer des BR-Fernsehens zweifelten die Unabhängigkeit der Berichterstattung an (S. 28) und 47% der Befragten hielt die Berichterstattung der ö/r TV-Sender insgesamt für nicht unabhängig (S.48) und glaubten an eine Einflussnahme von Regierung, Wirtschaft und Parteien. Angesichts dieser Befunde kann man kaum davon sprechen, es gäbe kein Problem.
Deutlich wird, dass die Bewertung eines mit öffentlichen Geldern geförderten Medienangebotes schwierig ist. Und was die Debatte zusätzlich kompliziert macht: Oft wird Quotenerfolg von den Kritikern im grundsätzlichen Kontrast zum qualitativen Anspruch gesehen. Das hat einer differenzierten Diskussion nicht immer geholfen, denn nicht selten haben auch Produktionen von hoher künstlerisch-handwerklicher Qualität gute Quoten – und umgekehrt haben künstlerisch-handwerklich schlechte Produktionen durchaus auch mal niedrige Quoten. Wie soll man die Debatte also künftig führen?
Blicken wir kurz zu den ebenfalls mit öffentlichen Geldern finanzierten kulturellen Filmförderungen. Wenigstens da wird es ja wohl wasserdichte Qualitätskriterien geben? Leider nein! In der Richtlinie für die kulturelle Filmförderung des Bundes, traditionell das Vorbild für alle anderen kulturellen Filmförderungen, heisst es lapidar: „Filme im Sinne dieser Richtlinie sind solche Filme, die für die öffentliche Vorführung in Kinos in der Bundesrepublik Deutschland bestimmt und geeignet sind, ihren Schwerpunkt im filmkünstlerischen Ausdruck und Anspruch haben und die nicht überwiegend werblichen Charakter tragen oder werblichen Zwecken dienen.“
Auch in den Leitlinien der größten Filmförderung auf Länderebene, der Film und Medien Stiftung NRW, hier stellvertretend für die Länderförderungen genannt, heisst es zur Frage der Qualität lediglich, eine geförderte Produktion solle „zur Steigerung der kulturellen Qualität der nordrhein-westfälischen Film- und Medienproduktion bei(zu)tragen, bezogen auf die Relevanz des Stoffes in inhaltlicher, historischer, sozialer oder gesellschaftlicher Hinsicht, die erzählerische und sprachliche Form, die visuelle Gestaltung sowie die Fähigkeit der beteiligten Künstler… und … ein kulturell vielfältiges und qualitativ profiliertes Filmschaffen in Nordrhein-Westfalen (zu) ermöglichen …“
Der Dualismus Qualität vs. Quote hilft also nur bedingt weiter! Und trotzdem ist unbestritten, dass es Reformbedarf gibt. Aus diesem Grund will Docs for Democracy den Begriff des Gemeinwohls als Unterscheidungsmerkmal heranziehen und für eine konstruktive Debatte fruchtbar zu machen.